Psychoanalyse

[277] Drei Irre gingen in den Garten

und wollten auf die Antwort warten.


Der erste Irre sprach:

»O Freud!

Hat dich noch niemals nicht gereut,

daß du Schüler hast? Und was für welche –?

Sie gehen an keinem vorüber, die Kelche.

Ich kenne ja wirklich allerhand

als Mitglied vom Deutschen Reichsirrenverband –

aber die alten Doktoren sind mir beinah lieber

als das Getue dieser

Ja.«


Der zweite Irre sprach:

»Schmecks.

Ich habe hinten einen Komplex.

Den hab ich nicht richtig abreagiert,

jetzt ist mir die Unterhose fixiert.

Und ich verspüre mit großer Beklemmung

rechts eine Hemmung und links eine Hemmung.

Vorn hängt meine ältere Schwester

und in der Mitte bin ich ziemlich gesund.

Ja.«


Der dritte Irre sprach:

»Wenn

heut einer mal muß, dann sagt ers nicht, denn

er umwickelt sich mit düstern Neurosen,

mit Analfunktionen und Stumpfdiagnosen –«

(»Ha! – Stumpf!« riefen die beiden andern Irren,

konnten den dritten aber nicht verwirren.

Der fuhr fort:)

»Vorlust, Nachlust und nächtliches Zaudern –

es macht so viel Spaß, darüber zu plaudern![277]

Die Fachdebatte – welch ein Genuß! –

ist beinah so schön wie ein

Ja.«


Die drei Irren sangen nun im Verein:

»Wir wollen keine Freudisten sein!

Die jungen Leute, die davon kohlen,

denen sollte man kräftig das Fell versohlen.

Erreichen sie jemals das Genie?

O na nie –!


Jeder Jüngling von etwas guten Manieren

geht heute mal Muttern deflorieren.

Jede Frau, die in die Epoche paßt,

hat schon mal ihren Vater gehaßt.

Und die ganze Geschichte stammt aus Wien,

und darum ist sie besonders schien –!


Wir drei Irre sehen, wie Liebespaare

sich gegenseitig die schönsten Haare

spalten – und rufen jetzt rund und nett:

Rein ins Bett oder raus aus dem Bett!


Keine Tischkante ohne Symbol und kein Loch . . .

Wie lange noch –? Wie lange noch –?«


Drei Irre standen in dem Garten

und täten auf die Antwort warten.


  • · Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 08.12.1925, Nr. 49, S. 872, wieder in: Mit 5 PS.

Quelle:
Kurt Tucholsky: Gesammelte Werke in zehn Bänden. Band 4, Reinbek bei Hamburg 1975, S. 277-278.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeschichte

Jürg Jenatsch. Eine Bündnergeschichte

Der historische Roman aus der Zeit des Dreißigjährigen Krieges erzählt die Geschichte des protestantischen Pastors Jürg Jenatsch, der sich gegen die Spanier erhebt und nach dem Mord an seiner Frau von Hass und Rache getrieben Oberst des Heeres wird.

188 Seiten, 6.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon