Erster Auftritt


[337] Lisette. Anton.


LISETTE. So warte doch, Anton.

ANTON. Ei, laß mich zufrieden. Ich mag mit dir nichts zu tun haben.

LISETTE. Wollen wir uns also nicht wieder versöhnen? Willst du nicht tun, was ich dich gebeten habe?

ANTON. Dir sollte ich etwas zu gefallen tun?

LISETTE. Anton, lieber Anton, goldner Anton, tu es immer. Wie leicht kannst du nicht dem Alten den Brief geben, und ihm sagen, der Postträger habe ihn gebracht?

ANTON. Geh! du Schlange! Wie sie nun schmeicheln kann! – – Halte mich nicht auf. Ich soll meinem Herrn ein Buch bringen. Laß mich gehen.

LISETTE. Deinem Herrn ein Buch? Was will er denn mit dem Buche bei Tische?

ANTON. Die Zeit wird ihm lang; und will er nicht müßige Weile haben, so muß er sich doch wohl etwas zu tun machen.

LISETTE. Die Zeit wird ihm lang? bei Tische? Wenn es noch in der Kirche wäre. Reden sie denn nichts?

ANTON. Nicht ein Wort. Ich bin ein Schelm, wenn es auf einem Todenmahle so stille zugehen kann.

LISETTE. Wenigstens wird der Alte reden.

ANTON. Der redt, ohne zu reden. Er ißt, und redt zugleich; und ich glaube, er gäbe wer weiß was darum, wenn er noch dazu trinken könnte, und das alles dreies auf einmal. Das Zeitungsblatt liegt neben dem Teller; das eine Auge sieht auf den, und das andre auf jenes. Mit dem einen Backen kaut er, und mit dem andern redt er. Da kann es freilich nun nicht anders sein, die Worte müssen auf dem Gekauten sitzen bleiben, so daß man ihn mit genauer Not noch murmeln hört.[337]

LISETTE. Was machen aber die übrigen?

ANTON. Die übrigen? Valer und Juliane sind wie halb tod. Sie essen nicht, und reden nicht; sie sehen einander an; sie seufzen; sie schlagen die Augen nieder; sie schielen bald nach dem Vater, bald nach dem Sohne; sie werden weiß; sie werden rot. Der Zorn und die Verzweiflung sieht beiden aus den Augen. – Aber juchhe! so recht! Siehst du, daß es nicht nach deinem Kopfe gehen muß? Mein Herr soll Julianen haben, und wenn – –

LISETTE. Ja, dein Herr! Was macht aber der?

ANTON. Lauter dumme Streiche. Er krützelt mit der Gabel auf dem Teller; hängt den Kopf; bewegt das Maul, als ob er mit sich selbst redte; wackelt mit dem Stuhle; stößt einmal ein Weinglas um; läßt es liegen; tut, als wenn er nichts merkte, bis ihm der Wein auf die Kleider laufen will; nun fährt er auf, und spricht wohl gar, ich hätte es umgegossen – Doch genug geplaudert; er wird auf mich fluchen, wo ich ihm das Buch nicht bald bringe. Ich muß es doch suchen. Auf dem Tische, zur rechten Hand, soll es liegen. Ja zur rechten Hand; welche rechte Hand meint er denn? Trete ich so, so ist das die rechte Hand; trete ich so, so ist sie das; trete ich so, so ist sie das; und das wird sie, wenn ich so trete. Tritt an alle vier Seiten des Tisches. Sage mir doch, Lisette, welches ist denn die rechte rechte Hand?

LISETTE. Das weiß ich so wenig, als du. Schade auf das Buch; er mag es selbst holen. Aber, Anton, wir vergessen das Wichtigste; den Brief –

ANTON. Kömmst du mir schon wieder mit deinem Briefe? Denkt doch; deinetwegen soll ich meinen Herrn betriegen?

LISETTE. Es soll aber dein Schade nicht sein.

ANTON. So? ist es mein Schade nicht, wann ich das, was mir Chrysander versprochen hat, muß sitzen lassen?

LISETTE. Dafür aber verspricht dich Valer schadlos zu halten.

ANTON. Wo verspricht er mir es denn?

LISETTE. Wunderliche Haut! ich verspreche es dir an seiner Statt.

ANTON. Und wenn du es auch an seiner Statt halten sollst, so[338] werde ich viel bekommen. Nein, nein; ein Sperling in der Hand ist besser, als eine Taube auf dem Dache.

LISETTE. Wann du die Taube gewiß fangen kannst, so wird sie doch besser sein, als der Sperling?

ANTON. Gewiß fangen! als wenn sich alles fangen ließe? Nicht wahr, wann ich die Taube haschen will, so muß ich den Sperling aus der Hand fliegen lassen?

LISETTE. So laß ihn fliegen.

ANTON. Gut! und wann sich nun die Taube auch davon macht? Nein, nein, Jungfer, so dumm ist Anton nicht.

LISETTE. Was du für kindische Umstände machst! Bedenke doch, wie glücklich du sein kannst.

ANTON. Wie denn? laß doch hören.

LISETTE. Valer hat versprochen, mich auszustatten. Was sind so einem Kapitalisten tausend Taler?

ANTON. Auf die machst du dir Rechnung?

LISETTE. Wenigstens. Dich würde er auch nicht leer ausgehen lassen, wann du mir behülflich wärest. Ich hätte alsdenn Geld; du hättest auch Geld: könnten wir nicht ein allerliebstes Paar werden?

ANTON. Wir? ein Paar? Wenn dich mein Herr nicht versteckt hätte.

LISETTE. Tust du nicht recht albern! Ich habe dir ja alles erzählt, was unter uns vorgegangen ist. Dein Herr, das Bücherwürmchen!

ANTON. Ja, auch das sind verdammte Tiere, die Bücherwürmer. Es ist schon wahr, ein Mädel, wie du, mit tausend Taler, die ist wenigstens tausend Taler wert; aber nur das Kabinett – – das Kabinett – –

LISETTE. Höre doch einmal auf, Anton, und laß dich nicht so lange bitten.

ANTON. Warum willst du aber dem Alten den Brief nicht selbst geben?

LISETTE. Ich habe dir ja gesagt, was darin steht. Wie leicht könnte Chrysander nicht argwöhnen – –

ANTON. Ja, ja, mein Äffchen, ich merk es schon; du willst die Kastanien aus der Asche haben, und brauchst Katzenpfoten dazu.[339]

LISETTE. Je nun, mein liebes Katerchen, tu es immer!

ANTON. Wie sie es einem ans Herze legen kann! Liebes Katerchen! Gib nur her, den Brief; gib nur!

LISETTE. Da, mein unvergleichlicher Anton –

ANTON. Aber es hat doch mit der Ausstattung seine Richtigtigkeit? – –

LISETTE. Verlaß dich drauf – –

ANTON. Und mit meiner Belohnung oben drein? – –

LISETTE. Desgleichen.

ANTON. Nun wohl, der Brief ist übergeben!

LISETTE. Aber so bald, als möglich – –

ANTON. Wenn du willst, jetzt gleich. Komm! – Potz Stern! wer kömmt? – – Zum Henker, es ist Damis.


Quelle:
Gotthold Ephraim Lessing: Werke. Band 1, München 1970 ff., S. 337-340.
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