Unum discamus mori

[289] C.H.v.H.


Wenn wir die gantze welt in unsern kopff gefast/

Des himmels lauff gesehn/ der erden ziel gemessen/

Bey frühem morgen-licht/ und auch bey nacht gesessen/

Und alles durchgesucht/ so kommt ein fremder gast/

Weist uns das stunden-glaß/ und spricht: Mensch lerne sterben/

Wo du nicht ewig wilst an leib und seel verderben.

Ach wunder-volle kunst/ und unergründtes werck!

Die weißheit/ so zuvor ein gantzes land geehret/

Wird da zum kinder-spiel. Was Plato hat gelehret/

Was Socrates gesagt/ und was der künste berg

Von klugheit bey sich hat/ das wird allhier zum thoren.

Wer nicht recht sterben lernt/ ist ewiglich verlohren.

Und weil ich denn gewiß/ daß iede stunde mich

Aus diesem leben rufft/ daß tag und nacht bezeuget/

Wie stets der arme mensch zu seinem grabe steiget;

So mach ich mich bereit/ und trachte brünstiglich

In dieser höchsten kunst nur dieses zu begreiffen/

Wie meine seele mög in tods-gedancken reiffen.

Quelle:
Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster Teil, Tübingen 1961, S. 289.
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