Seine geliebte wolte ins kloster gehen

[71] C.H.v.H.


1.

Lisippe will der erden sich entreissen/

Ihr edler geist geht zu der ruh/

Er eilt der reinen sonne zu/

Und will/ was himmlisch ist/ zu küssen sich befleissen/

Sie stöst die erde hin/ und suchet allzu viel/

Weil sie bey fleisch und blut als engel leben will.


2.

Schau doch zuvor ein wenig noch zurücke/

Entlauff dir doch nicht vor der zeit;

Der schönen augen zärtlichkeit

Verträget nicht so bald die heissen sonnen-blicke.

Du kanst nicht Enoch seyn/ noch des Elias art/

Und ehe man verstirbt/ wird keine himmelfahrt.


3.

Mit was hat doch die erde dich verletzet/

Du stürmest wider fleisch und blut/

Ich weiß nicht/ was Lisippe thut/

Die aller regung sich verwegen widersetzet.

Wer mit sich selber kriegt/ und sich zu schlagen tracht/

Vor diesen hat der sieg die krone nicht erdacht.


4.

Du bist zu schwer/ der erde zu entfliehen/

Du kanst noch kein gestirne seyn.

Komm/ sammle freudens-blumen ein/

Die dir als dienerin itzt selbst entgegen ziehen.

Wer ungezwungen ihm das marterthum begehrt/

Ist der erbarmung zwar/ doch keines ruhmes werth.
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5.

Lisippe laß die prächtigen gedancken/

Kein mensch verengelt sich doch nicht;

Vernimm was deine jugend spricht/

Und schreit itzt nicht so bald aus deinen freuden-schrancken/

Da tausend lieblichkeit auff süsse spiele denckt/

Und lust-rubinen dir zu deinem schmucke schenckt.


6.

Geneuß doch noch der welt ambrirte früchte/

Der himmel bleibt dir unversagt.

Wer allzu kühn zur sonne jagt/

Dem macht ein scharffer strahl den heissen flug zunichte.

Mensch und auch engel hat uns zeitlich kund gethan/

Daß man im paradieß und himmel fallen kan.

Quelle:
Herrn von Hoffmannswaldau und anderer Deutschen auserlesener und bißher ungedruckter Gedichte erster Teil, Tübingen 1961, S. 71-73.
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