Vierte Szene

[404] Nachmittag. Preußisches Feldlager bei Ligny. Viele Feuer.

Soldaten aller Waffengattungen um und zwischen denselben. Einige rauchen, andere kochen, andere striegeln ihre Pferde p. p. Marketender und Marketenderinnen an vielen Orten. An einem Feuer im Vordergrunde sitzen auf Holzblöcken ein ostpreußischer Feldwebel und ein Berliner Freiwilliger. Ein schlesischer Infanterist steht bei ihnen. Über den Flammen hängt ein Kessel.


DER BERLINER. Schlesier, da hast du zwei Münzgroschen. Hole mich von jene Marketenderin einen blauen Zwirn, und vor dir einen halben.


Der Schlesier geht.


Herr Feldwebel –

FELDWEBEL. Was ist?

BERLINER. Ihre Pfeife ist leer – Darf ein Berliner Bürgersohn Sie etwas Tabak anbieten?

FELDWEBEL. Habe noch selbst Tabak. Danke.


Der Schlesier kommt zurück.


BERLINER trinkt. Das wärmt! – – Herr Feldwebel, wir bekommen schlechtes Wetter – der Himmel ist gräulich grau.

FELDWEBEL. Das ist er.

BERLINER. Wie lange liegen wir wohl noch hier?

FELDWEBEL. Bis wir aufstehn.

BERLINER für sich. Der Kerl ist, wie ein berühmter Autor sagt, göttlich grob. Statt mir mit ihm zu ennuyieren, will ich lesen und mir bilden.


Er zieht ein Buch aus der Tasche. Dann laut.


Schlesier, wenn Huhn und Kreckente gar gekocht sind, verkündest du es mich.

FELDWEBEL. Woher habt ihr das Geflügel?

BERLINER. Requiriert, requiriert – Herr Feldwebel, Sie essen mit.

FELDWEBEL. Gern.

BERLINER. Herr Feldwebel, was halten Sie von diese Kampagne?

FELDWEBEL. Wir müssen tüchtig auf die Franzosen losschlagen.

BERLINER. Versteht sich, so weh es mich tun wird. – Wann sind wir wohl in Paris?[404]

FELDWEBEL. Sobald wir einrücken.

BERLINER. Waren Sie schon einmal da?

FELDWEBEL. Ja, 1814.

BERLINER. Ist es so schön wie unsre große Hauptstadt?

FELDWEBEL. So ziemlich.

SCHLESIER. Huhn und Ente sind gar.

BERLINER. Herr Feldwebel, so wollen wir die verfluchten Luder miteinander teilen. – Da, Sie die Ente, ich das Huhn – Kamm, Schnabel und Füße sind dein Teil, Schlesier.

FELDWEBEL. Behandle den Burschen nicht wie einen Hund.

BERLINER. Es ist man ein Wasserpole, ohne Bildung, aus die Gegend von Ratibor. Der Kamm schmeckt ihm wie Sirup.

FELDWEBEL. Kamerad Schlesier, hier hast du von meiner Ente das halbe Bruststück.

BERLINER. Herr Feldwebel, kennen Sie die Gebrüder Schlegel?

FELDWEBEL. Nein.

BERLINER. Die kennen Ihnen auch nicht, aber kennten sie Ihnen, so würden sie sagen, Sie wären äußerst sentimental.

FELDWEBEL. Alle Donner, ein ostpreußischer im Regiment geborener und aufgewachsener vierzigjähriger Feldwebel sentimental?

BERLINER. Ja ja, Ihr Herz ist weicher als Sie ihnen. Es geht Sie wie Alexander dem Großen als er seinen Freund zu geschwind totgeschlagen hatte.

FELDWEBEL. Warum nicht gar wie Napoleon als er aus Rußland flüchtete?

BERLINER. Napoleon? – O, der ist auch noch lange kein Iffland! – – Kannten Sie Iffland?

FELDWEBEL. War er nicht Komödiant?

BERLINER. Komödiant! Sei Gott mich gnädig! – Ein Schauspieler, ein darstellender Künstler, ein Mime war er wie keiner unter die Sonne. Lesen, studieren Sie die Journale – – ach, Sie hätten die großartige Charakteristik sehen sollen, mit welcher er wundersam eindrang in den Geist der Rolle – Na, Lemm, Beschort sind auch sehr schätzbare Talente, aber – Wer kommt da zu Pferde?

FELDWEBEL. Aufgestanden! Der Feldmarschall und General Gneisenau!

BERLINER. Der Feldmarschall ist doch ein großer Kopf!

FELDWEBEL. Woran merkst du das?

BERLINER. Das sieht man ja, sowie er die Mütze abnimmt.


[405] Blücher und Gneisenau sind bis in den Vorgrund gesprengt. Adjutanten hinter ihnen.


BLÜCHER. Kamerad, was für ein Buch das?

BERLINER. Isabella von Mirando oder die Kürassierbeute –

BLÜCHER. Wirfs in das Feuer. – Feldwebel, Sie kenn ich.

FELDWEBEL. An der Katzbach präsentiert ich Ewr. Durchlaucht zwei von mir gefangene Franzosen.

BLÜCHER. Wahr. Und Sie haben kein Eisernes Kreuz? – Hier das meinige. Heften Sie es sogleich an die Brust, und wenn die Kugeln pfeifen, denken Sie bei ihm: es ist doch alles Kreuz, Jammer und Elend, aber das beste Kreuz ist doch immer das des Königs – – Wisset Leute, Bonaparte soll in der Nähe sein, angekommen wie ein Dieb in der Nacht. Ist es so, so haben wir morgen früh Bataille, und wenn das Heer will, morgen abend Sieg.

GNEISENAU. Der Posten von St. Amand muß verstärkt werden.

BLÜCHER. Nicht vielmehr der von Sombref? Er liegt dem Feinde näher.

GNEISENAU. Der französische Kaiser –

BLÜCHER. Nenne den Schurken nicht Kaiser, der meiner Königin das Herz brach.

GNEISENAU. Napoleon wird uns gern von den Engländern trennen, auf die Seite werfen wollen, und, du kennst ihn, da wird er ohne sich umzusehen die Stellung zuerst angreifen, die uns zunächst mit ihnen verbindet, und diese ist: St. Amand.

BLÜCHER. Du hast recht, Freund. – St. Amand mit fünf Infanterie- und drei Dragoner-Regimentern verstärkt.


Mehrere Adjutanten ab.


Kuriere zu Wellington – Gruß ihm, und die Bitte, er möge vorrücken – Andere zu Bülow: der breche sofort mit seinem Korps auf und sei morgen mit Tagesanbruch hier.

GNEISENAU. Jetzt erfahren wir ein Mehreres. – Da schickt Ziethen drei Husaren von der Vorhut.


Drei Ziethensche Husaren jagen in die Szene.


BLÜCHER. Es könnten verkleidete französische Spione sein. Dem Bonaparte ist keine List fremd. – Die Parole?

EIN ZIETHENSCHER HUSAR. Zorndorf!

BLÜCHER. Richtig. – Was gibt es?

DER ZIETHENSCHE HUSAR. Französische Truppen zu Fuß und[406] zu Pferde, wie Sand am Meer, in Avesnes, Charleroi, Châtelet, Marchienne. Ihre Voltigeurs drängen sich schon an uns, und schießen aus Strauch und Busch.

GNEISENAU. Haben die Feinde viele Kanonen?

DER ZIETHENSCHE HUSAR. Unabsehbare Züge.

BLÜCHER. Sogenannte Kaisergardisten unter ihnen?

DER ZIETHENSCHE HUSAR. Regiment an Regiment.

BLÜCHER. So ist Er mit seiner ganzen Armee da, und hat uns überrascht. Doch, es soll ihm wenig helfen, denn er macht uns nicht bestürzt. – – Zurück zu Ziethen – er ziehe sich fechtend bis Sombref.


Die drei Ziethenschen Husaren wieder ab.


GNEISENAU. Alarm, Feldherr?

BLÜCHER. Versteht sich, auf der Stelle! Überall Rappell! Der Generalmarsch durchs Lager – Neue Patronen ausgeteilt, die Güte der alten untersucht!


Viele Adjutanten ab.


Und wir beiden, Freund Gneisenau, einen Ritt nach Charleroi hin – Es sieht sich nicht besser als mit eignen Augen.


Mit Gneisenau ab. Gleich darauf Rappell und Generalmarsch im ganzen preußischen Biwak. Alle zerstreut gewesenen Soldaten eilen zu ihren Kompanien und Schwadronen, rasch sich waffnend und ordnend.


FELDWEBEL. Adieu, Berliner und Schlesier – Gott mit euch in der Schlacht!


Ab.


BERLINER. Herr Schlesier, holen Sie für uns beide noch einen großen Kümmel.


Schlesier geht.


Mein Jesus, welch ungeheurer Unterschied, wenn man erwartet, ob es losgeht, oder wann es losgeht. Vorher besah ich die Gefahr halb mit Lust, fast wie einen schön gemalten Bären, – jetzt wird der Bär lebendig, und mich bebt der Hemdschlapp. O hätte meine Mutter mir bei sich behalten, mir nie geboren, ich brauchte doch nicht zu sterben, – oder wär ich doch kein Freiwilliger geworden – Ach, der mußt ich werden, sonst härten sie mir unfreiwillig dazu gemacht!


Schlesier kommt mit dem Schnaps zurück.


BERLINER. Zittern Sie nicht vor die Bataille?

SCHLESIER. Nein.[407]

BERLINER. Gnädiger Himmel, wie kommt denn das?

SCHLESIER. Es hülfe ja nichts, – ich muß doch mit vorrücken.

BERLINER für sich. Das gesteh ich, der weiß sich in die Umstände zu finden. Diesem könnte die Polizei Rock und Kamisol wegnehmen und er wäre grenzenlos zufrieden! Laut. Wissen Sie auch, warum wir kämpfen?

SCHLESIER. Das hört man auf allen Wegen – Für König, Freiheit, Vaterland –

BERLINER. Was halten Sie von die Freiheit?

SCHLESIER. Man sagt, sie wäre was Gutes.

BERLINER für sich. – – Wie ich ahnte, – pure Dummheit – wasserpolackisches Vieh! – Der hat gut sprechen, hat gut krepieren! Ob der dahinsinkt oder nicht, – es ist man ein Ochs weniger oder mehr, – aber ein Kopf wie der meinige – Jammerschade wär es! – Laut. Da, trinken Sie das Glas aus.

SCHLESIER leert das Glas. Dann. Leben Sie wohl, – ich muß zu meinem Regiment.


Ab.


BERLINER. Was? Auch du Brutus, dem ich so viele halbe Schnäpse gegeben? – Gott, o Gott, nun bin ich so ganz allein mit meine Angst!

EIN ZWEITER BERLINER FREIWILLIGER kommt. Schul-, Kriegs-Kamerad, was hier gezaudert? Mit mir zu unsrer Kompanie. Man erschießt dich, bist du nicht sogleich da.

ERSTER BERLINER. Herr Regierungsrat –

DER ANDERE BERLINER. Zum Geier den Regierungsrat! Wer denkt an Rang und Titel, wenn der Korse mit seinen Horden hereinbricht, um Preußens und Deutschlands Ehre zu zertreten? – Ich bin Freiwilliger und Gemeiner wie du.

ERSTER BERLINER. Das ist richtig mit Preußens Ehre, denn die Franzosen haben in Berlin erschrecklich geschändet – Unsre Magd Lotte weiß auch davon zu sagen – – Aber vor dem Erschießen, wenn ich zu spät komme, ist mich nun gar nicht bange, – zwischen dem und mir steht noch ein deutsches Standrecht, und das schont das Pulver.

DER ANDERE BERLINER. Horch, der Zapfenstreich unsres Regiments!

ERSTER BERLINER. Sehr mißtönig! sehr schlechte Noten!

DER ANDERE BERLINER. Fort mit mir!

ERSTER BERLINER. Ich wollte, Sie würden verwundet – Wie[408] schnell trüg ich Ihnen aus die Schlacht!


Der andere Berliner reißt ihn mit sich fort.

Blücher und Gneisenau kommen zurück.


BLÜCHER. Teufel, man muß sich in Acht nehmen – die französischen Tirailleure sind ja schon überall wie das Unkraut – Da tanzmeistert wieder ein Haufen aus der Holzung! – Heda, von jenem brandenburgischen Husarenregiment zwei Schwadronen hieher!


Die zwei Schwadronen sprengen auf seinen Wink heran.


Husaren, in die Trompete gestoßen, und heraus die Preußenschwerter!


Es geschieht.


Ha, wie das blitzt – Es tut einem wohl wie ein war mer Sonnenstrahl am kalten Wintertag. – – Seht ihr jene vorausgelaufenen Franzosenhunde? Wetterleuchtet unter ihnen mit euren Säbeln und jagt sie zurück wie der Habicht die jungen Hühner.

DIE HUSAREN. Wir jagen sie!


Sie sprengen fort.


BLÜCHER. Hast du gesehn, Gneisenau, wie der welsche Grünrock seine Raubrotten herausgeputzt hat? Selbst als er nach Rußland zog, prunkten seine Reitergarden nicht mit so prachtvollen, hohen, roten Federn!

GNEISENAU. Auch die paar Kürassiere, die ich erblickte, waren wie mit Erz übergossen.

BLÜCHER. Hatten aber auch dabei wieder die schöngeputztesten Lappen Bärenfelles vorn am Helm –

GNEISENAU. Ohne Flitter gehts bei den Franzosen nicht ab.

BLÜCHER. Ein Narr verarg es ihnen, daß sie bei Tüchtigem und Großem auch den Glanz lieben, wenn ihnen der Schimmer nur nicht meistens die Hauptsache würde. – Und ihre Reiter verdienen die herrliche Montur wahrhaftig nicht, – ein gutes Pferd schämt sich einen von ihnen zu tragen, – sie reiten wie die Judenjungen, nicht bügel-, nicht sattelfest.

GNEISENAU. Aber so wilder und verwegener.

BLÜCHER. Ei was, die Verwegenheit einer schlechten Reiterei ist einer guten gegenüber nichts als blindes Feuer. Fast all unsre Landwehrulanen sind eben vom Pfluge genommene Bauern, aber keiner darunter, der nicht den Zügel besser hält als siebentausend Franzosen, und könnt ich[409] heute nacht die Herren mit einem Kavallerieüberfall regalieren, wie einst bei Hainau und Laon, so wollt ich dir beweisen –

GNEISENAU. Eine Überrumpelung ist unmöglich – die feindlichen Vorposten sind zu zahlreich.

BLÜCHER. Leider, – sorge du für die unsrigen. – Ich sehe mich derweile im Heere um und finde hoffentlich überall den alten Kriegsmut.


Er und Gneisenau auf entgegengesetzten Seiten ab.


Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 2, Emsdetten 1960–1970, S. 404-410.
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