IV.

Gisgon

[125] Karthago. Nachmittag.

Gemach in Melkirs Palast.

Melkir, Hanno und Gisgon.


MELKIR. Der Tag ist schwül. Setzen wir uns und laben uns am kühlen Wein, und dann – Er stößt mit Gisgon und Hanno an, diese tun als nippten sie von dem Wein, setzen aber die Becher unberührt beiseit. Melkir in sich. Die Niederträchtigen! sie merken gar das Gift!

GISGON. – Hannibal kann heut noch ankommen. So sehr wir seiner gegen die nahenden Scipionen bedürfen, so gefährlich ists, ihn mit seinem Heere in die Stadt zu lassen.

MELKIR. Er kommt auch nicht damit herein. 's ist gesorgt: er soll draußen einige Stunden ruhen, und gleich darauf den Römern entgegen.

HANNO. Diesem ist so, Gisgon. Er legt einen großen Brief auf den Tisch. Dieses Schreiben des Synedrions verfügts, und der Lotse steht bereit, der es ihm überbringt, sobald man seine Wimpel gewahrt. Du zweifelst? Mit Gewicht. Ja, ja, der Lotse steht bereit!

GISGON. Und befolgt Hannibal die Befehle nicht?

HANNO. Wie dürft er es wagen? Wie könnt er sich rechtfertigen?

GISGON. Das kann er kurzweg. Er sagt, ich habe die Befehle nicht gelesen, und bricht durch den Hafen in die Stadt.

MELKIR. Geht nicht. Äußerer und innerer Hafen wehren es ihm mit Ketten, und mit Toren von Erz, deren sich die Pforten der Hölle nicht zu schämen brauchten.

EIN VERTRAUTER DIENER MELKIRS tritt ein. Unsere italische Kriegsflotte naht mit vollem Winde.[125]

MELKIR. Deinen Brief, Hanno. Zum Diener. Ihn sogleich an den bewußten Lotsen geschickt.


Der Diener ab.


Kommt an dieses Gitterfenster – Wir übersehen von hier das Meer, und laßt uns beobachten, ob alles nach unsren Befehlen geschieht.

GISGON. Die Flotte sieht zwar recht lumpig, aber auch verdammt ernsthaft aus, ihre Segel sind geflickt, ihre Vorderteile von der Zeit geschwärzt und voller Spalten, aber alles das nicht wie ein gebeugtes, sondern wie ein durchgrämtes, wütendes Gesicht.

HANNO. Der Lotse fährt zum Admiralschiff – er steigt hinauf mit dem Brief –

GISGON. Ich bin begierig, ob – Moloch, die ganze Flotte zieht die Flaggen auf, Karthagos Befehle zu begrüßen – Verzeihung, Melkir und Hanno, ihr kanntet Sachen und Menschen besser als ich.

HANNO. Da steigt der Lotse wieder mit einem Hauptmann ins Boot und fährt hieher.

MELKIR. Diener!


Der Diener kommt.


Eile jenem Hauptmann entgegen und führ ihn hier ein.


Der Diener ab.


GISGON. Lieber Hannibal, bist doch nur ein Haudegen, und jetzt begreif ich, wie Du überall siegen, und doch weder Rom noch Karthago bewältigen konntest.

DER HAUPTMANN HANNIBALS tritt ein. Wer unter euch der edle Melkir?

MELKIR. Melkir bin ich.

HAUPTMANN. Mein Feldherr entbietet mich zu Dir: er weiß, wie sehr er alle Hülfe vorzüglich Deiner, auch Hannos des Großen, und Gisgons Bemühung –

MELKIR. Auch die beiden siehst Du hier.

HAUPTMANN. Auch ihnen Gruß! – Ferner weiß er, wieviel ihr bei dem erhabenen Synedrion geltet, und bittet euch, da er in den langen Feldzügen ungewohnt geworden, in einer so hohen Versammlung zu reden, seine Vermittler zu sein, und ihm die nötigen Befehle auszuwirken, nach welchen er gegen das heranrückende Römerheer zu verfahren, und wo er jetzt zu landen hat, ob im äußeren oder inneren Hafen, oder an welcher anderen Stelle?[126]

MELKIR. Unseren Gruß ihm wieder. In den beiden Häfen soll er nicht landen, sondern den Scipionen entgegen, auf der Ebene am Westende der Stadt.

HAUPTMANN. Das war seine unmaßgebliche Meinung auch. – Ein Teil unsrer Mannschaft ist seekrank – er wünscht einige Verstärkung, wenn sie möglich.

MELKIR. Er soll die Seesoldaten unserer beiden Häfen erhalten. Hier die Vollmacht.


Der Hauptmann ab.


HANNO. Die Häfen so zu entblößen?

GISGON. Hannibals oder unsere Dummheit ist so groß, daß mir ihretwegen titanisch zu Mut wird.

MELKIR. Du bist jung, Gisgon, höchstens sechsunddreißig Jahr, da kann uns der eitle Kriegsglanz noch blenden, und glauben machen, daß ein brauchbarer Feldherr, wie Hannibal, nicht außer seinem gewohnten Kreise ein beschränkter Kopf sein könne.

GISGON durch das Gitterfenster blickend. Seine Flotte rührt sich!

MELKIR. Nach Westen, genau wie wir vorgeschrieben.

HANNO. Wendet sie sich jetzt nicht ein wenig östlich?

MELKIR. Um den Ostwind zu gewinnen. Sie geht schon wieder nach West.

GISGON. Und nun wieder nach Ost – alle Blitze und ihre Zickzacke!

MELKIR. Sie laviert.

GISGON. Erhebt euch, Götter der Unterwelt, und reißt diese Lavierer in eure Tiefen! – Ha, schaut, es wendet sich, gradaus, nach Osten, auf die Häfen stürmts, die Ketten springen vor dem Anstoß, die schlechtverwahrten Eisentore rauschen auf – In der Stadt ist er und wir sind alle an der Nase geführt!

HANNO. Und da schwingt sich der Hauptmann aus einem Boot ans Land, den bloßen Säbel in der Faust, eine Kuppel bewaffneter Neger hinter ihm – seine eben noch schmeichelnden Mienen flammenrotes Gewölk!

MELKIR. Man kann sich irren, der Weise muß aber auch darauf gefaßt sein. Und


Höhnisch.


hättet ihr meinen Wein getrunken, ließ euch Hannibal nicht kreuzigen. Ich indessen bin gerettet! Er versinkt.[127]

HANNO. Der – dieser –

GISGON. Folg mir – Hier ist eine versteckte Wandtür, die ich ihm längst ablauschte. Wir entwischen bequemer als er!


Sie entfliehen durch eine Wandtür, die sich hinter ihnen schließt.


DER HAUPTMANN HANNIBALS mit Kriegern. Da sitzt der dreiköpfige Höllenhund! – Was? weg? – Das ganze Haus zu Brei, daß er und jede Maus darin ersticke!


Der große Marktplatz in Karthago.


MARKTJUNGE. Fische! neue! Hannibals!

VOLK. Zeig!

MARKTJUNGE. So heißen sie, denn nie speist Hannibal andere! Das Stück dreißig Drachmen!

EIN MANN. 's ist teuer, doch meine Frau murrte mich krank, brächt ich ihr nicht einen mit.

EIN ANDERER. Sie hielten mich für einen Anhänger des zerstäubten Synedrions, kauft ich nicht ein paar.

MARKTWEIB. Der Junge sticht jetzt seine Mutter selig aus. Vorhin schrie er nur wie sie, doch jetzt lügt er, daß mir vor Ärger und Verwunderung das Herz wackelt.


Ein Herold kommt, eine starke Truppenmasse hinter ihm.


HEROLD laut. Hört!


Der Markt wird still.


MARKTWEIB für sich. Wieder ein Ausrufer, nur anderer Art.

HEROLD. Unser erhabener Feldherr Hannibal, tief empört über die Niederträchtigkeit des Synedrions und der Dreimänner, welche die Stadt an den Untergang gerissen, und die nicht wagten, vor ihm zu erscheinen, als er mit bescheidener Frage vor die leeren Throne der Suffeten trat –

EIN KARTHAGER leise zu einem andern. Und noch dazu mit dreißigtausend Mann, die nach gar nichts fragten!

HEROLD. – hat, da die römischen Legionen herandräuen, solang die Gefahr währt, diese auf sich genommen, und das Regiment allein ergriffen. Jeden Bürger, der sich berufen fühlt, ladet er ein, das Vaterland zu verteidigen, zwingen will er niemand dazu –

VIELE atmen auf. Ah![128]

HEROLD. – Schiffahrt und Handel nach allen Teilen der Welt gibt er frei, nur die Ausländer zahlen von ihren gebrachten Waren Zoll. Er begehrt bloß gute Verpflegung seiner Krieger, während der kurzen Zeit, welche sie hier verweilen. Und jeder Freie, der ein Mitglied des Synedrions vor ihn bringt, sei es tot oder lebendig, erhält zwölftausend Drachmen, jeder Sklav dieselbe Summe, wovon er aber viertausend Drachmen seinem Herrn abzuliefern hat!

DIE MENGE. Ha, er ist Karthagos echter Sohn! Hoch Hannibal und sein erhabener Stamm!


Halle im Palast des alten Barkas

Barkas und Alitta.


BARKAS. Teuerste Urenkelin, Du kommst in diesen bewegten Tagen, und er, der meinem Herzen noch näher sein sollte, kommt nicht, vergißt mich in seinem Glück!

ALITTA. Nein, Greis. So denk ich ihn mir nicht. Er will gewiß erst so freudiger vor Dich treten, wenn er alles beendigt hat.

BARKAS. Du sprichst wie ein empfindendes Weib. Er ist ein gefühlloser Krieger.

ALITTA. Nimmermehr bloß der! Hohe Taten, wie die seinigen, wurzeln tiefer, als unter der Stirn, wo sie sich nur entfalten. Wahrlich, das fühl ich im kleinen in meinem eignen Busen.

BARKAS. Sahst Du ihn je?

ALITTA. Großoheim, ich war ja noch lange nicht geboren, als er abreiste, doch erzählen ließ ich mir von ihm, seit ich denken konnte.

BARKAS. Er war ein eigensinniger Knabe.

ALITTA. Vielleicht nur eigen!


Hannibal und Brasidas erscheinen im Hintergrunde.


BARKAS. Warum kommt er aber nicht?

HANNIBAL mit Brasidas vortretend. Er kniet zu Deinen Füßen!

BARKAS. Auf, auf! – Du, vor dem die Hunderttausende fielen, willst knien? Auf – es erschreckt mich!


Hannibal erhebt sich.


– – Enkel! Deine Stirn ein sturmerstarrtes Meer![129]

HANNIBAL. Es stürmte lange drüber hin, bis endlich der Frost kam und die Wellen stehn blieben.

ALITTA. Das die Hände, die von Kannäs Höhen zum Siege winkten? Ich zittre vor Schauder und Wonne!

BARKAS. Dein Haar schon weißlich –

HANNIBAL. Es geht meinem Kopf wie dem Eisen, – glüht man es zu arg, wirds weiß. Zu Brasidas. Ist die es?

BRASIDAS. Alitta, kennst Du mich nicht?

ALITTA. Brasidas! – – Und er hat doch tapfer gefochten?

HANNIBAL. Ich bezeug es Dir.

ALITTA. So lieb ich ihn tausendmal mehr!

BARKAS. Senken wir die Häupter: die Posaunen der Priester rufen zum Gebet.

HANNIBAL. Es sind Opferpriester, Ahn, doch freiwillig wollen wir ihnen die Nacken nicht reichen.

BRASIDAS. Nicht Opferpriester – die kennen nur Gesang, nicht Posaunen.

HANNIBAL. – – – Großvater, die Scipionen kommen vor der Stadt an, und was wir hören, ist der langgedehnte, zum Aufwerfen der Nachtlager rufende Klang der römischen Tuba!

ALITTA. Der Feind vor den Mauern! Hannibal, Held, rette! Brasidas, hilf ihm! – Wie's da wieder schallt! wie sie mit ihren nordischen schaurigen Tönen hoch über die Mauern in die Stadt fassen! Rettet!

HANNIBAL. Versuchen will ichs! – Europa und Afrika stehen auf dem Spiel – Meine Würfel liegen aber schlecht, ich habe nur dreißigtausend schnell zusammengeraffte Söldner gegen eine vier- bis fünffache Übermacht auszuspielen, die da fühlt, daß sie um die Ehren eines Vaterlandes kämpft. Doch versuchen muß ichs, und zusehn will ich, ob ich das Glücks nicht verbeßre, und sei's mit der Zunge.

BARKAS. O könnt ich mit euch!

ALITTA. Dürft ich mit euch! – Aber, es falle wie es will, ich weiß – !

HANNIBAL UND BRASIDAS. Lebt wohl! Beide ab.


In der Nähe des Städtchens Zama.

Vormittag. Römisches Lager.

Vor dem Zelt der Scipionen.

Das Heer und die Hülfstruppen in Schlachtordnung.

[130] Scipio der Ältere, Scipio der Jüngere, Allochlin, Massinissa, Terenz und der Keltiberier.


SCIPIO DER JÜNGERE. Massinissa! mit Deinen lybischen Reitern stellst Du Dich denen Deines Gegenkönigs, des Halbkarthagers Syphax gegenüber – Allochlin, scharmützle nach jenen Dörfern. Der Feind sammelt sich hinter ihnen.

ALLOCHLIN. Herr, gönnt meinen Leuten erst eine Stunde Ruhe. Sie waren wieder drei Tage und drei Nächte in Dienst. Drei Vierteile meines Heeres sind während Deines Feldzugs darauf gegangen – Die armen Männer tun mir leid – Ich habe meine Braut sehr teuer erkauft!

SCIPIO DER ÄLTERE. Schmeckt sie Dir nicht mehr wie anfangs?

SCIPIO DER JÜNGERE. Kauf ist Kauf, Barbar. Hinterdrein daran mäkeln, zeigt keinen rechtlichen Mann. Befolge, was ich befohlen, und ihr zehn Zenturionen da, schließt euch an seine Seite, und tötet ihn, sobald er uns untreu wird. Sein weinerliches Gewäsch läßt mich das Niederträchtigste fürchten.

ALLOCHLIN. O! Mit den Zenturionen ab.

TERENZ für sich. Bekommt er es nun, wie ichs prophezeite?

EIN VELIT kommt. Karthagische Friedensboten bei den Vorposten.

SCIPIO DER ÄLTERE. Schickt sie zurück.

SCIPIO DER JÜNGERE. Laß mich sie hören. Es gibt Zeit, daß Du das Heer unterdes ganz so ordnest, wie wir übereingekommen.

SCIPIO DER ÄLTERE. So dehne das Gespräch hin wie einen Bandwurm, der immer vorn wieder anwächst, wenn man ihn hinten abschneidet, bis ich zurückkomme und wir ihn und die punischen Patienten mit dem Schwert zum Tode kurieren. Ab.

SCIPIO DER JÜNGERE. Die Abgeordneten sollen kommen.


Der Velit ab.


Sohn Ullos, was starrst Du?

TERENZ für sich. Mit dem Barbaren spricht und scherzt er – Der ward seinem Gaumen angenehmer, als die früheren attischen Unterhaltungen.

KELTIBERIER. Herr, ich sah manche mächtige gefleckte Kröte, gelb mit schwarzen Buckeln, doch so eine meilenweite, wie jene Stadt, zuerst gestern Abend. Und was für schwarze[131] Riesen ragen über all die Dächer und Türme noch hinaus, ihre Hände gen Himmel streckend, dampfend, als böten sie Brandopfer dar?

SCIPIO DER JÜNGERE. Es sind die ehernen Bilder der Götter, und wenn Gefahr droht, legen die Karthager in deren glühende Hände ihre Kinder zum Opfer, Errettung flehend.

KELTIBERIER. Ei – höchst vernünftig kommt mir das vor, jemehr ich darüber nachdenke. Sie werden der kleinen, oft unvorsichtig erzeugten Mitesser los, werden gerettet, und tun dazu den Göttern einen Gefallen! Ich werd es in Keltiberien zur Nachahmung empfehlen.


Die beiden karthagischen Abgeordneten kommen.


ERSTER. Uns sendet Hannibal. Er wünscht den bevorstehenden Kampf durch Vergleich abzuwenden, und Dich dort auf freiem Felde mitten zwischen beiden Heeren zu sprechen.

SCIPIO DER JÜNGERE. Und wo hat er seinen Hinterhalt gelegt?

ERSTER. Er wählte ja, um jeden Verdacht zu vermeiden, das freie Feld. Auch will er Dir nur zu Fuß, bloß von zwei Hauptleuten eben so begleitet, entgegenkommen, und ersucht Dich ein Gleiches zu tun.

SCIPIO DER JÜNGERE für sich. Ich möcht ihn wohl sehen. Auch gewinnt mein Bruder Zeit.


Zu den Abgeordneten.


Ich komme, gleich.


Die Abgeordneten ab, von welchen der zweite immer nur genickt hat, wenn der erste gesprochen.

Die Ebene zwischen beiden Heeren.


HANNIBAL mit zwei Hauptleuten. Er kommt also – – Das währt lange. – Nun, muß ich auch noch das Warten lernen? – Ha!


Scipio der Jüngere tritt auf mit zwei Hauptleuten; Hannibal winkt die seinigen in einige Entfernung zurück, Scipio die seinen ebenso. Beide Feldherrn treten einander gegenüber und sehen sich lange stumm an.


HANNIBAL. – – Scipio, ich muß wohl der erste sein, welcher in dieser Stunde redet, denn ich bin der ältere.[132]

SCIPIO DER JÜNGERE. Du bist es.

HANNIBAL. Wozu längerer Kampf zwischen Rom und Karthago? Haben die endlosen Kriege nicht beiden einsehen lernen, daß sie am glücklichsten sind, wenn Rom sich auf Italien, Karthago sich auf Afrika beschränkt?

SCIPIO DER JÜNGERE. Dachtest Du so, als Du Spanien erobertest und die Alpen überschrittest?

HANNIBAL. Nein. Aber grade meine Feldzüge lehrten mich seitdem, daß wir so denken sollten. – Du, jugendlicher Feldherr, stehst auf der Höhe Deines Ruhms, alles was Du bisher unternahmst, ist Dir geglückt – Doch bedenke, wie leicht wechselt die launische Fortuna, wie schnell kann sich alles wenden in diesen zentnerschweren Augenblicken, die über unsre Häupter heraufziehn! – Siehe mich: den Hannibal, der Dein Land mit euren Niederlagen füllte, jetzt –

SCIPIO DER JÜNGERE. Sehr ungelegen erinnerst Du mich daran, denn ich stehe hier, sie zu vergelten.

HANNIBAL. – Der Weise wählt das beste Gut und das geringste Übel, muß er einmal unter beiden wählen. Siegst Du heut, macht es Dich glücklicher? Du hast Lorbeers genug. Verlierst Du heut, ist all Dein erworbener Ruhm dahin.

SCIPIO DER JÜNGERE. Was bietet Karthago?

HANNIBAL. Alle Besitzungen außer Afrika, volle Genugtuung den Fürsten der Numidier, die mit euch verbunden sind.

SCIPIO DER JÜNGERE. Und nicht sich selbst und Dich unserer Gnade?

HANNIBAL. Römischer Gnade! – Nein, eher wollen wir es mit eurer Ungnade zum letzten Mal versuchen!

SCIPIO DER JÜNGERE wendet sich zum Abgehn, kalt. Dann erwarte mit Deinen dünnen Haufen das Schicksal der Schlacht. Du, hättest Du mein überlegnes Heer, handeltest nicht anders, ständest Du an meiner Stelle.


Mit seinen beiden Hauptleuten ab.


HANNIBAL. Es erwarten? Nein, ich ruf es, es war mir oft eine helfende Göttin!


Gegen sein Heer.


Schlacht!


Ab. Die Schlacht beginnt.

[133] Warte über einem Haupttor Karthagos

Der Pförtner mit seinem Knaben.


PFÖRTNER. Kind, sieh genau hin, denn heue erblickst Du etwas, wovon Du nach hundert Jahren erzählen kannst, und zum Glück ists helles Wetter.

KNABE. O die lustige Musik! Die blanken Harnische!

PFÖRTNER. Siehst Du die beiden Staubwolken?

KNABE. Die da links den Himmel verdunkeln und durcheinanderwirbeln?

PFÖRTNER. Das ist die numidische Reiterei im Gefecht mit der römischen. Den Göttern Dank, die unsrige dringt vor!

KNABE. Was wimmelt und windet sich hinter ihr am Boden, als wollts aufstehen und fort, und könnte nicht?

PFÖRTNER. Verwundete und Sterbende, mein Sohn.

KNABE. Hilft ihnen keiner?

PFÖRTNER. Nachher. Im Drange der Schlacht ists zeitstörend und gefährlich, sagt unser Nachbar, der Bader.

KNABE. In der Mitte der Scharen, Vater – hu, was sträuben sich da die Lanzen empor, fast wie Großmutters Haare, wenn sie keift!

PFÖRTNER schlägt ihm hinter die Ohren. Bengel, schimpf nicht auf Großmutter!

KNABE weint. Darf ich nicht sagen, was ich sah? Will fort.

PFÖRTNER. Junge, Du bleibst.

KNABE. Meine Schulstunde – Ich komme zu spät.

PFÖRTNER. Werde Dich entschuldigen. – Schau, die beiden Mitteltreffen geraten aneinander!

KNABE. Der Feind zieht aber seine Schwerter und rollt sich zusammen, wie neulich der Stacheligel.

PFÖRTNER. Es hilft ihm nichts, unsre Lanzen sind länger.

KNABE. Der Feind schlägt sie doch beiseit – Weh, da sitzen und würgen sie sich an den Kehlen!

PFÖRTNER. Teufel – und es wird dabei so schauderhaft still, und man siehts so deutlich! Brausten doch alle Donner los, wirbelten und dampften alle Wüsten auf, dies leise Gewürg und Gemetzel zu übertäuben, zu verhüllen! – Ha, da kommt der edle Brasidas mit Reiterei zu Hülfe!

KNABE. Und da stößt ihm ein Römer den Dolch unter die Rippen, daß ihm das Blut auf die Erde prasselt, und er vom Pferde stürzt! Hu![134]

PFÖRTNER. Wie sie sich um den Leichnam streiten! Er macht hundert andere!

KNABE. Ich kanns nicht mehr ansehn! Wär ich auch tot!

PFÖRTNER. Was fällt Dir ein, Bube?

KNABE schreit. Die Römer brechen durch!

PFÖRTNER. Ruhig – Hannibal lockt sie in eine Falle – Ha! siehst Du? Da ist er, unerwartet aus dem Versteck, frisches Fußvolk, frische Reiterei hinter ihm – Moloch, wie wirds Platz, wohin er kommt! – Da hat er die Leiche des Brasidas, empor reißt er sie mit gewaltiger Hand, zeigt sie racherufend dem Heer –

KNABE. 's klingt ohrzerschmetternd!

PFÖRTNER. – und wirft sie auf das Pferd! – Hölle, nun erst gehts los – Die Funken stäuben von den Panzern, meine Augen beben!

KNABE. Vater, Vater! Er hat zu wenig Leute! Der Feind umschwemmt ihn!

PFÖRTNER. Pah! was das? Sieh, er schwimmt allerwärts durch, patscht gut hinein, wo er ist, spritzt doch das Blut himmelhoch! Der Knabe hält sich die Augen zu. Die Hände von den Augen – Karthago siegt!

KNABE. – – Was für eine Eisenmasse kommt aber da aus der Ferne? Kalt, blinkernd, still und doch vordrängend – So ists, wie unser Lehrer sagt, bei Thule mit den Eisblöcken!

PFÖRTNER. Aff, das ist die letzte römische Macht, – Hannibal sprengt schon selbst darauf zu, wetzt den Degen daran, und haut das Eis zu Stücken.

KNABE. Das tut er, aber es gefriert und schließt sich immer wieder – die Unsren werden matt –

PFÖRTNER. Er zerbrichts mit seinen wenigen – schau, die Lücke!

KNABE. Ja, und da kommt er bluttriefend mit einem Schock Mann nur aus ihr zurück!

PFÖRTNER. 'ne Teufelsgeschichte!

KNABE. Wie winkt er mit dem Arm den Unzähligen, die nahe vor uns stehen, so schön in Silber gewaffnet, ihm zu helfen? Sie rühren sich nicht.

PFÖRTNER. Müßten auch Narren sein, ihre teuren Rüstungen und ihr kostbares Leben einzusetzen. Genug, daß sie dastehn und dem Feinde Achtung einflößen. Sprich vorsichtiger[135] von ihnen, Junge. Es sind die Söhne unsrer angesehensten Familien, und von ihnen hängt es einst ab, ob Du mein Nachfolger werden sollst oder nicht – Die Unsterblichen sinds!

KNABE. Weil sie, wie jetzt, weglaufen, ehe man sie totschlägt?

PFÖRTNER. Halt den Schnabel von Dingen, die Du nicht verstehst. Er blickt in die Stadt. Melkir, Hanno, Gisgon, die Geächteten, jeder mit wildem, großem Pöbelgefolg, und wie es hieß, unlängst unter sich in Zwiespalt, jetzt so scheints, noch einmal Eine Seele! – Was nicht eine verlorene Schlacht tut!

KNABE. Muter sagt, wo ein Aas, da –

PFÖRTNER. Schurk, schweig!

MELKIR. Hanno, Gisgon, besetzt jene Mauern! Indem er zum Pförtner steigt. Ich besetze diese! – Verliert der Windbeutel?

PFÖRTNER. Du meinst – ?

MELKIR. Hannibal, den Schuft, von dem ihr Schufte alles hofftet, und der nichts leistete. – Ha, er ist geschlagen, alles fliehe, die Unsterblichen voran – Denen öffne die Tore, jedem andren Flüchtling schlag sie vor der Nase zu.

PFÖRTNER. Dem Feldherrn auch?

MELKIR. Ja, und mit einem kräftigen Ruck!

PFÖRTNER. Komm, Junge. Mit seinem Sohn ab.

MELKIR. Mein altes Herz, bebe vor Freude, daß du zu so hohen Jahren kamst! Die Römer konnten mir keinen größeren Gefallen erzeigen, als mit ihrem Sieg! Hannibals Name ist dahin, er selbst wird von der Stadt ausgeschlossen, und belagern sie uns, so verderben sie sich an unseren dreifachen Kyklopenmauern mehr, als er an Roms niedrigem Gemörtel. Eh, da ist er!


Hannibal sprengt mitten durch die Unsterblichen, die scheu vor ihm ausweichen, und vor denen er im Vorübersausen ausspeit, mit einem kleinen Reiterhaufen auf Karthago zu; wie er Hanno, Gisgon und Melkir mit ihren Leuten auf den Mauerzinnen erblickt, reckt er die Hand gen Himmel, und jagt dann abwärts, pfeilschnell zur Küste.


Er flieht! – – So etwas tut einem Greise wohl! – Daß aber großes Glück immer größere Sorgen mitbringt: der Maulaffe Gisgon und der Blasebalg Hanno müssen endlich unbedingt fort. Hanno erbte mit seiner Familie ein Rudel[136] Anhänger, und Gisgon sammelt sich fleißig neue – Der alte Melkir aber überlistet euch beide, und wird Karthagos einziger Herr, oder er mußte nicht Melkir sein!


In Karthago.

Platz vor der riesigen erzenen Bildsäule des Moloch.

Ihre Hände glühen rot und dampfen.

Mütter mit ihren Kindern auf den Armen knien ringsum mit aufgelöstem, zur Erde wallenden Haar. Priester gehen kalt zwischen ihnen und der Bildsäule auf und ab und nehmen ihnen nach der Reihe die Kinder, um sie zu opfern.

Vieles Volk.


EIN WEIB blickt ihrem Kinde ins Gesicht. Mein Knabe – er lächelt und winkt nach den flammenden, nach ihm ausgestreckten Fäusten! – Kind, wie wehe mir, als ich Dich gebar, und noch endlos weher, da man Dich mir entreißt – Dein dunkles freundliches Auge bald Rauch! – Ha, da nehmen die Priester der Nachbarin ihr Mädchen, nun kommt die Reihe an mich! Hu!

EIN PRIESTER. Den Knaben.

DAS WEIB. Nehmt, verbrennt mich, und laßt ihn leben! Er ist noch so jung, so schuldlos!

DER PRIESTER. Moloch will eben schuldloses Blut.

EIN ZWEITER PRIESTER tritt hinzu, und nimmt dem Weibe das Kind. Zum andern Priester. Was zankst Du lange mit dem Weib? Der Gott muß Opfer haben, der Staat ist in Gefahr!

DAS WEIB. Ich auch! Sie drückt die Hände erst an die Brust, dann an die Stirn. Meer, erlösche die beiden Funken!


Stürzt ab.

Melkir, Gisgon und Hanno kommen mit ihren Begleitern.


MELKIR. Schön, Karthager, daß ihr so feierlich der Götter gedenkt!


Die Mütter schaudern.


Aber auch nie noch drohte uns größere Gefahr, noch nie verlangte sie größere Opfer. Wir dürfen die größten nicht scheuen, bräche uns auch darob das Herz, denn der Feind droht mit Sturmangriff, und nur Moloch kann uns retten![137]

GISGON für sich. Mir wird zu Mut, als röch ich bei seinem Gerede Speck in einer Mausefalle, und ich sollte eine der Mäuse sein.


Laut zu Melkir.


Erfahrener, weisester, edelster Mann –

MELKIR. Laß das –

GISGON. Es wird schwer halten, just die edelsten Bürger auszufinden, welche sich dem Flammentode für das Vaterland weihen – es sind ihrer zuviel.

MELKIR. Nicht doch – Die beiden besten seh ich vor mir: Du und Hanno.

VOLK. Wahr! Hoch Melkir! Hanno, Gisgon kommt! Zum Moloch!

HANNO. Melkir, dieses hätt ich nicht von Dir, Freund –

MELKIR. Die Not löst auch Freundesband.

HANNO. Muß es denn sein? O, so laß mich doch erst erdrosseln, und nicht lebendig verbrennen!

MELKIR. Der Gott nimmt nur Lebendige, nicht Leichen.

GISGON. Melkir, Erhabener! wie bescheiden Du bist, bescheiden wie jede Größe!

HANNO. Die Sterbenden rasen wirklich! Er lobt unsren Mörder!

GISGON. Du, der älteste der Dreimänner, geschmückt mit den verdientesten Ehren, Du, der für ganz Karthago gelten kann –

MELKIR. Danke! hör auf!

GISGON. – hast Dich heute selbst übersehen –

HANNO atmet auf. Aha! der göttliche Junge!

GISGON. Karthagos Volk ernannte Dich, die Größten zum Opfer zu wählen, und Du dachtest kaum, daß der Wähler noch weit größer sein muß, als alle seine Erwählten – Drum


Er faßt ihn an der Schulter und schüttelt ihn.


juble, kehr Dich um vor Freuden, dreimal, so, denn dort oben verbrennst Du zu unserer Rettung!

VOLK. Gisgon! Weisester der Männer!

GISGON. Und hier treten meine Bewaffneten vor – Hanno, laß Deine auch vortreten – Jedem das Schwert in die Kehle, der sich gegen uns sträubt!

MELKIR. Schlange – !


Er wird fortgeführt.
[138]

EIN KRIEGER kommt mit einem römischen Gesandten. Ein Bote vom Feinde.

DER GESANDTE. Ich bringe billige Friedensvorschläge.

GISGON. Hm, gehts mit Karthagos Mauern so leicht nicht?

GESANDTER. Rom wünscht nicht, daß eine würdige Nebenbuhlerin, wie eure Stadt, untergehe.

GISGON. Die edle Feindin – Was begehrt sie?

GESANDTER. Ihr verzichtet auf alle Länder, außer Afrika –

GISGON. Wir tuns.

GESANDTER. Dann liefert ihr uns eure Waffen, eure Kriegsschiffe aus, diese bis auf zwanzig, welche ihr immer in Stand erhalten und ersetzen mögt, aber nie vermehren sollt.

GISGON. Das sei.

HANNO. Wie?

GISGON leise. Das alles läßt sich wieder herstellen. Schicke Leute ab, welche an den abzuliefernden Schiffen möglichst verderben.

HANNO. Wohl. Er geht ab.

GESANDTER. Ferner helft ihr dem Massinissa sich in Besitz des Landes eures Bundesgenossen Syphax setzen, und besoldet dazu zehntausend Mietvölker.

GISGON. Die Bedingung ist hart – Doch auch sie werde erfüllt.

GESANDTER. Endlich zwanzigtausend Talente zu Roms Entschädigung –

VOLK. Zwanzigtausend Talente!

GISGON. Ruhig, Volk! Lerne das Vermögen edler Karthager kennen und ihre Selbstverleugnung – Ich zahle sie!

VOLK. Gisgon, Größester! Allerreichster!

GISGON zum Gesandten. Und fordert ihr nicht Weiteres?

GESANDTER. Nein.

GISGON. So komm mit mir, und sei mein Gast.


Saal in Gisgons Hause.


EIN SKLAV hereineilend. Hausmeister, Mitsklaven, Sklavinnen!


Der Hausmeister kommt.


Der Herr naht mit dem römischen Gesandten zum Mittagsessen![139]

HAUSMEISTER. Ambra angezündet! Die perlenschwellenden Pokale aus Ophir, die goldenen Becher der Atlantis herbei! Diese elenden Tische von Zederholz fort, die alabasternen, mit Diamanten geränderten her!


Die Sklaven bringen und ordnen alles, wie er befiehlt.


GISGON mit dem römischen Gesandten eintretend. Gefällts Dir bei mir?

GESANDTER. Zu prächtig für den Bürger einer besiegten Stadt.

GISGON. Ich dachte, Dich zu erfreuen. Beide setzen sich zum Speisen.

HANNO kommt. Gisgon, ich lade mich ein zu Deinem Mahl, und, edler Römer, alle Friedensbedingungen sind erfüllt, Schiffe, Gelder, Waffen, alles wie Du wünschtest, abgeliefert.

GESANDTER. Die Bescheinigungen?

HANNO. Hier, von euren Quästoren unterzeichnet.

GESANDTER. Richtig. Für sich. Wir hätten sie, die Füchse!

HAUSMEISTER kommt. Ein zweiter Gesandter aus dem Römerlager.

GISGON. Willkommen! Hausmeister ab. Was will der noch?

GESANDTER. Die Scipionen werden bemerkt haben, wie rasch ihr alles herausgegeben, alles erfüllt habt, und wünschen vielleicht noch einige Erläuterungen, Bestimmungen –

GISGON. Wir haben, mein ich, genug erläutert und bestimmt.

HANNO steht auf. Mir schmeckt das Essen nicht mehr.

ZWEITER RÖMISCHER GESANDTER tritt ein, zu Hanno und Gisgon. Die Scipionen senden mich, euch ihr Wohlgefallen –

GISGON. Wohlgefallen?

ZWEITER GESANDTER. – an der schnellen Vollziehung des Traktats zu bezeugen. Nur –

GISGON. Nur?

ZWEITER GESANDTER. – verlangen sie noch Eines, das den ewigen Frieden zwischen Rom und euch sichern, jede feindliche Berührung hemmen wird – Rom liegt auch nicht am Meer –

HANNO. Was! das Meer! unsere Mutter! unsere Amme! an deren Wogenbusen wir uns groß gesäugt, die uns fortwährend ernährt, sollen wir missen?[140]

GISGON. Hanno, wirst Du poetisch?

HANNO. Und Du wider Deine Art so tief prosaisch?

GISGON. Wer würde das nicht bei so guter lateinischer Prosa?


Zu dem zweiten Gesandten.


Die Stadt unsrer Väter also soll –

ZWEITER GESANDTER. Geschleift werden, und ihr könnt im Lande, vierzig Stadien vom Meer, eine neue aufbauen, jedoch mit anderem Namen.

GISGON. Und nicht einmal den Namen laßt ihr uns?

ZWEITER GESANDTER. Nein.

GISGON mit donnernder Stimme. Nun, treibt ihr uns an solche Abgründe, so wollen wir beides, den Namen und die Sache behalten, so müssen wir uns zurückstemmen, umkehren, und euch Räubern selbst das geraubte Gut und eure eignen Kleider abzureißen trachten!

HANNO. Aus euren Gräbern, Geister der Ahnen!

GISGON. Nicht nötig! Tausende von Geistern erwachen schon in meiner einzigen Brust! – – Und ihr Römer, bei denen Stolz, Tapferkeit, Todesverachtung, nur Münzen anderes Gepräges sind, als unsre Silberlinge – schämt euch, daß ihr sie gebraucht, so zu betrügen!


Zum ersten Gesandten.


Du, Schurk, wußtest, daß der zweite Botschafter nachkam, nachdem Du uns die Waffen abgelockt –


Zum zweiten.


Und Du warst bestellt, den Rest Karthagos zu vertilgen, wenn wir wehrlos geworden – O der großen Scipionen, wie hoch sie über aller Heuchelei, Falschheit, allem Laster stehn! Zwei Elmsfeuer, zwei Dioskuren werden sie von den Zinnen des Kapitols in die späteste Nachwelt glänzen, und diese Dioskuren sind doch nur weitschulterige, betrügerische Rattenfänger!

ERSTER GESANDTER. Wer dann wären die Ratten?

GISGON rufend. Sklaven!


Sklaven in gedrängten Haufen kommen. Gisgon zu den Gesandten.


Da siehst Du einige!


Zu den Sklaven.


Ihr seid frei, und jeder, der sich tapfer gegen die Römer wehrt, ist Bürger. Holt Waffen, die besten liegen noch unter[141] den Fußböden der Arsenale versteckt, Proviant für Jahre neben ihnen – Ihr Römer, wie waret ihr so einfältig, uns für ganz einfältig zu halten? – Und, Sklaven, schreit durch die Straßen »die Scipionen haben den Vertrag gebrochen! sie wollen die Stadt in die Wüste verlegt wissen, daß sie dort verdorre, ein wasserloses Kraut!«

ERSTER GESANDTER. Wir –

GISGON zu den Sklaven. Alle Karthager ruft zur Gegenwehr, ruft aus: »nun ist es keine Kunst, nicht Gefahr mehr, Mut zu besitzen, denn ohne ihn gehn Leben, Haus, Hof, Gut, alles was in Feigheit gespart ist, verloren!«

DIE SKLAVEN. Wir brechen auf!

GISGON. Haltet – Auf reißet die Tempel der Götter, werft um ihre Bildsäulen, daß sie zu Waffen geschmolzen werden, zu Kriegswerkstätten machet ihre Hallen!

HANNO. Gisgon! Die Götter verletzen?

GISGON. Duldeten sie nicht, daß wir verletzt wurden? Können sie uns jetzt zu etwas Besserem dienen als zu Waffen? Zu den Sklaven. Karthagos Weiber und Töchter, – es sind die schönsten der Erde, zu schön, als daß je Gemeines ihnen zu nahen wagte –

HANNO. Die Weiber?

GISGON. Ein Weib gründete Karthago, Weiber helfen es retten edler sind sie bei uns als die Männer (o, ich weiß es, obgleich ich nur Eine kenne!) –


Wieder zu den Sklaven.


Ruft Mütter und Töchter auf, sie sollen in den Tempeln die Stellen der Göttinnen ersetzen, und mehr noch als die sein, denn nicht stumm und müßig sollen sie dastehn, sondern ihren Schmuck an Gold und Kleinodien verwenden, um Speere, Schwerter, Helme und Harnische zu gießen und zu zieren, nur den besten, den Brautschmuck, mag er getragen sein oder harrt er noch auf den Brauttag, behalte jede, auf den Fall, daß es doch einst gälte, sich dem untergehenden Vaterlande zu vermählen! – Hanno, Hanno! wär ich immer das gewesen, wozu mich heut das Unglück macht, – wär ich meiner besseren Natur und nicht Deinen und Melkirs Listen gefolgt, bei allen Himmeln und Erden, Indem er auf die römischen Gesandten blickt. diese beiden Schweißhunde hetzten uns nicht in unsren Häusern, und Hannibal, ich als Gemeiner unter ihm, wäre in den ihrigen![142]

ERSTER GESANDTER. Wir beurlauben uns. Bei euren Veranstaltungen würde unsre Gegenwart nur störend sein.

GISGON. Gar nicht – Sklaven, ergreift sie!


Die Gesandten werden ergriffen.


ZWEITER GESANDTER. Das bietest Du Gesandten?

GISGON. Und mehr noch, wenn die Gesandten Spitzbuben sind!


Zu den Sklaven.


An das Kreuz mit ihnen, fest und hoch, daß sie bluttriefend sehen, wie um sie her Karthago sich rüstet!

HANNO. Nicht übereilig –

GISGON. Eile, rücksichtsloseste, ist das nötigste, wollen wir einholen, was wir versäumten! – Fort mit den beiden! Könnt ich die Scipionen ihnen ins Antlitz gegenüber kreuzigen lassen!

ZWEITER GESANDTER zum ersten. Antworte nichts und denk an Regulus!

GISGON. Hüllt euch nur in die Schaffelle eurer Erinnerungen, man weiß doch, daß Wölfe von Fleisch und Blut darunter, und verziehe ihr bei eurer Bestrafung auch keine Miene, es tut euch doch weh!


Die Gesandten werden abgeführt.


– – Warum erschrecke, Hanno? Meinst Du, mit den Römern wäre irgend Friede? Sie würden nicht frecher, je zahmer wir tun? Wer uns einmal betrog wie sie, dächte uns nicht weiter zu betriegen? Zu Sklaven Massinissas ergriffen und verkauften sie uns, rissen wir diese Stadt um, und zögen wehrlos ins offne Feld, eine neue zu bauen![143]

Quelle:
Christian Dietrich Grabbe: Werke und Briefe. Band 3, Emsdetten 1960–1970, S. 125-144.
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