Achtes Bruchstück

Reckenfürst

[192] 824

›Nur hier ist Reinheit‹, also wird geredet,

Und andre Orden will man heißen unrein;

Woran sie hängen preisen sie als herrlich,

An eigne Wahrheit einzeln angehangen.


825

Gern reden sie, versammeln sich zu Rate,

Als Toren hält ein jeder jeden andern;

Ein jeder spricht auf andre Weise weiter,

Um Beifall buhlt er, deutet sein Verdienst an.


826

So pflegt er Zwiesprach in der Redner Mitte,

Erpicht auf Beifall schlägt er schlau sie nieder;

Zurückgeschlagen selber dann, betroffen,

Zu neuer Tücke reizt ihn auf der Tadel.


827

Und wessen Rede mißgebilligt worden,

Zurückgeschlagen schlau von Fragemeistern:

Verdrossen macht ihn Mißgelingen, drückt ihn,

›Bin überwunden‹ murmeln seine Lippen.


828

In solchem Hader gehn umher Asketen

Und greifen an, sich selber zu bekriegen;

Wer das gemerkt hat, meiden soll er Meinung,

Nicht anders kann man irgend Lob erlangen.


[193] 829

Erlangt er aber Lob und wird gepriesen,

Das Wort erklärend in der Redner Mitte:

Frohlocken alsogleich erfüllt ihn, Hochmut,

Er hat den Lohn gefunden, den sein Geist begehrt.


830

Der Hochmut ist ihm Stätte der Verstörung,

Aus Dünken nur und Dünkel spricht ein solcher;

Wer das gemerkt hat, nicht mehr wird er hadern,

Denn rein wird keiner so, wie Kenner sagen.


831

Den Recken, ruft man den zum Königskampfe,

Heran schon rückt er, Reckenstreit zu streiten,

Zu schlagen, wie er's nur vermag, den Gegner,

Zu rasten eher nicht als Sieg errungen.


832

Von Ansicht eingenommen widerstreiten,

›Nur das ist Wahrheit‹, andern zu es rufen,

›Gesagt sein lasse dir's, denn nichts gelingt dir‹:

Wo Hader anhebt wird man Feinde finden.


833

Vorüber ohne Feindschaft wer da wandert,

Nicht Ansicht wider Ansicht anzugreifen:

Wie könntest, Reckenfürst auch, Den du fassen?

Nicht hüben hat er, drüben nicht erkoren.


834

Doch meinst du noch Gedanken nachzugehn,

Im Geiste Spur von Ansicht auszukunden?

Weil abgeschüttelt ist das Joch, vertan,

Vermagst du keiner Fährte mehr zu folgen.

Quelle:
Die Reden Gotamo Buddhos. Bd. 3, Zürich/Wien 1957, S. 192-194.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Diderot, Denis

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Die Nonne. Sittenroman aus dem 18. Jahrhundert

Im Jahre 1758 kämpft die Nonne Marguerite Delamarre in einem aufsehenerregenden Prozeß um die Aufhebung ihres Gelübdes. Diderot und sein Freund Friedrich Melchior Grimm sind von dem Vorgang fasziniert und fingieren einen Brief der vermeintlich geflohenen Nonne an ihren gemeinsamen Freund, den Marquis de Croismare, in dem sie ihn um Hilfe bittet. Aus dem makaberen Scherz entsteht 1760 Diderots Roman "La religieuse", den er zu Lebzeiten allerdings nicht veröffentlicht. Erst nach einer 1792 anonym erschienenen Übersetzung ins Deutsche erscheint 1796 der Text im französischen Original, zwölf Jahre nach Diderots Tod. Die zeitgenössische Rezeption war erwartungsgemäß turbulent. Noch in Meyers Konversations-Lexikon von 1906 wird der "Naturalismus" des Romans als "empörend" empfunden. Die Aufführung der weitgehend werkgetreuen Verfilmung von 1966 wurde zunächst verboten.

106 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Spätromantik

Große Erzählungen der Spätromantik

Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.

430 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon