Drittes Kapitel

[129] Nach diesen Gesichtspunkten ist also zu prüfen, ob eine Definition unklar ausgedrückt worden; ob aber die Definition sich etwa zu weit erstrecke, ist zunächst danach zu prüfen, ob dabei Bestimmungen benutzt sind, welche in Allem enthalten sind, sei es in allem Seienden überhaupt oder in allen zu derselben Gattung mit dem definirten Gegenstand gehörigen Gegenständen; denn dann ist die Definition nothwendig zu weit gefasst, da die Gattung das zu Definirende von den anderen Dingen und der Art-Unterschied es von dem, in der Gattung sonst noch Enthaltenen absondern soll. Das, was in Allen enthalten ist, sondert der Gegenstand von Nichts ab, und das, was allen zu derselben Gattung Gehörigen zukommt, sondert der Gegenstand von den anderen Arten nicht ab. Deshalb ist die Aufnahme einer solchen Bestimmung in die Definition nutzlos.

Man muss ferner prüfen, ob, wenn auch eine Bestimmung in der Definition dem Gegenstande eigenthümlich zukommt, doch, auch nach Wegnahme dieser Bestimmung,[129] das Uebrige noch eigenthümliche Definition des Gegenstandes enthält und sein Wesen darlegt. So ist z.B. der Zusatz zur Definition des Menschen, dass er der Wissenschaft fähig sei, überflüssig, da, auch wenn man diesen Zusatz weglässt, das Uebrige dem Menschen ausschliesslich eigen ist und sein Wesen klar macht. Ueberhaupt ist alles in einer Definition überflüssig, bei welchem, auch wenn es wegbleibt, das Uebrige das zu Definirende klar macht. So ist auch der Begriff der Seele fehlerhaft, wonach sie als eine sich selbst bewegende Zahl bestimmt wird; denn schon das »sich selbst Bewegende« bezeichnet die Seele, wie Plato sie definirt hat. Oder sollte dieser Ausspruch zwar eine Eigenthümlichkeit der Seele bezeichnen, aber nach Weglassung der Zahl nicht deren Wesen ausdrücken? Was hier das Wahre ist, ist schwer deutlich zu machen, indess muss man in allen solchen Fällen dasjenige benutzen, was am brauchbarsten ist. Ist z.B. als Definition des Schleimes aufgestellt, dass er die erste von der Nahrung herrührende unverdaute Feuchtigkeit sei, so kann man einwenden, dass das »Erste« nur Eines sei und nicht Mehreres, deshalb sei der Zusatz »unverdaut« überflüssig, denn auch mit Weglassung desselben werde die Definition noch immer die Eigenthümlichkeit des Schleimes ausdrücken, da es nicht möglich sei, dass diese und noch eine andere Feuchtigkeit die erste sei. Allein man kann auch erwidern, dass der Schleim nicht von der Nahrung überhaupt, sondern von dem unverdaulichen Theile derselben die erste Flüssigkeit sei und deshalb das Unverdauliche nicht wegbleiben dürfe; denn ohnedem sei der Begriff nicht richtig, da der Schleim nicht von der ganzen Nahrung die erste Feuchtigkeit sei.

Man hat ferner zu prüfen, ob eine der in die Definition aufgenommenen Bestimmungen in allen unter die zu definirende Art fallenden Einzelnen enthalten ist; eine Definition, wo dieses nicht stattfindet, ist schlechter, als die, welche etwas enthält, was allem Seienden gemeinsam ist, denn im letzteren Falle kann das Uebrige noch den eigenthümlichen Begriff enthalten, und deshalb wird auch die ganze Definition die eigenthümliche bleiben, da überhaupt, wenn zu dem Eigenthümlichen noch irgend eine wahre Bestimmung hinzugefügt wird, das Ganze doch eine eigenthümliche[130] Definition bleibt. Ist aber eine in der Definition aufgenommene Bestimmung nicht in allen zu der definirten Art gehörenden Einzelnen enthalten, so kann die ganze Definition keine eigenthümliche sein, denn der Gegenstand kann nicht umgekehrt von der Definition ausgesagt werden. Wird z.B. als Definition des Geschöpfes aufgestellt, dass es ein zweifüssiges, oder vier Ellen hohes Landthier sei, so kann von ihr nicht umgekehrt das Geschöpf ausgesagt werden, weil nicht alle unter diese Art fallenden Einzelnen vier Ellen hoch sind.

Es ist ferner ein Mangel, wenn in der Definition etwas mehrfach gesagt wird; z.B. wenn man von der Begierde sagt, sie sei ein Verlangen nach dem Angenehmen. Denn jede Begierde geht auf das Angenehme, so dass das Verlangen nach dem Angenehmen ganz dasselbe ist, wie die Begierde nach dem Angenehmen; ein solche Definition der Begierde würde also darauf hinauslaufen, dass sie ein Verlangen nach dem Angenehmen sei; denn ob man Begierde, oder Verlangen nach dem Angenehmen sagt, ist gleich, mithin gehen beide auf das Angenehme.

Oder sollte dies doch nicht widersinnig sein? Denn auch der Mensch ist zweifüssig, so dass also das Zweifüssige in der Definition schon in dem zweifüssigen Menschen enthalten ist. Nun ist aber das zweifüssige auf dem Lande lebende Geschöpf dasselbe wie der Mensch, mithin würde der Mensch ein zweifüssiges auf dem Lande lebendes Geschöpf sein. Allein dies beweist nicht, dass die Definition verkehrt sei, denn das Zweifüssige wird nicht von dem auf dem Lande lebenden Geschöpfe ausgesagt (denn dann würde das Zweifüssige zweimal von demselben Gegenstande ausgesagt), sondern das Zweifüssige wird von dem zweifüssigen auf dem Lande lebenden Geschöpfe und deshalb nur einmal ausgesagt. Ebenso verhält es sich mit der Begierde; denn das Angenehme wird nicht von dem Verlangen, sondern in Bezug auf das Ganze ausgesagt, mithin wird diese Bestimmung auch hier nur einmal ausgesagt. Ueberhaupt ist es nichts Widersinniges, wenn dasselbe Wort zweimal ausgesprochen wird, sondern widersinnig ist es nur, wenn ein und dasselbe vom Etwas mehrfach ausgesagt wird, wie es z.B. in der Definition des Xenokrates geschieht,[131] wo er die Klugheit als die Tugend definirt, welche das Seiende sondert und betrachtet. Denn das Sondern fällt unter das Betrachten, so dass durch das noch zugesetzte Wort das Betrachten zweimal gesagt wird. Derselbe Fehler ist es, wenn man die Erkältung für eine Beraubung der natürlichen Wärme erklärt; denn jede Beraubung bezieht sich auf ein von Natur Vorhandenes; mithin ist der Zusatz »natürlich« hier überflüssig, und es genügte, wenn man die Erkältung eine Beraubung der Wärme nennte, da das Wort: Beraubung von selbst andeutet, dass es sich um die natürliche Wärme handele.

Ferner ist es ein Mangel, wenn zu der, in der Definition enthaltenen allgemeinen Bestimmung noch eine beschränktere hinzugefügt wird; z.B. wenn man das Billige als eine Minderung des Zuträglichen und Gerechten definirt; denn das Gerecht ist etwas Zuträgliches und deshalb ist es in demselben enthalten, und das »Gerechte« ist deshalb überflüssig. Man hat damit zu dem schon im Allgemeinen befassten noch das Besondere daneben ausgesprochen. Ebenso mangelhaft ist es, wenn man die Arzneilehre die Wissenschaft von dem den Geschöpfen und den Menschen Gesunden nennt, oder das Gesetz als das Bild des natürlichen Sittlichen und Gerechten definirt; denn das Gerecht ist ein Sittliches, und man hat dann ein und dasselbe zweimal gesagt.

Quelle:
Aristoteles: Die Topik. Heidelberg 1882, S. 129-132.
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